In Reconvilier gehts um die Sprache

Source : Berner Zeitung
Date : samedi 11 mars 2006
Auteur : Olivier Kubli
Copyright : BZ
Das Bundesamt für Statistik hat kürzlich Interessantes kommuniziert. Die Mehrheit der Immigranten in unserem Land kommt aus Deutschland. Die Deutschen bilden sogar die drittgrösste Ausländer-Gemeinschaft der Schweiz, hinter den Italienern und den Zuwanderern aus Ex-Jugoslawien.

Diese Entwicklung ist eine Trendwende in der Immigrationsgeschichte der Schweiz. Der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften, die wirtschaftliche Stagnation bei unserem nördlichen Nachbarn sowie die kulturelle Nähe erklären diese Situation. Letztere ist für die Schweiz durchaus positiv und zeigt, dass die Schweizer Wirtschaft für hoch qualifizierte Arbeitskräfte weiterhin attraktiv ist. Die Mehrheit dieser deutschen Immigranten sind hoch qualifiziert und übernehmen zum Teil Führungspositionen in der Schweizer Wirtschaft.

Die Situation kann aber eine Kehrseite haben, wie der Streik im Swissmetal-Werk Boillat in Reconvilier zeigt. Wo viele einen Arbeitskonflikt sehen, geht es in erster Linie um einen Sprachenkonflikt. «Kommunikationspanne» oder «fehlender Dialog» sind die Schlagzeilen, die in Verbindung mit dem Konflikt von den Medien gebraucht worden sind. Zu Recht: Die Beteiligten reden nicht die gleiche Sprache, im wörtlichen Sinn.

Auf der einen Seite sind da die Mitarbeitenden und die Kundschaft einer Firma, die alle französisch reden. Auf der anderen Seite ein deutscher Manager, der zur Sprache und Kultur von Molière überhaupt keinen Draht hat. Das Problem ist nicht zu unterschätzen. Deutsche Manager haben nur mit einem Teil der Schweiz eine kulturelle Affinität. Und im Gegensatz zu ihren Deutschschweizer Kollegen haben sie keine «zweite Nationalsprache» in der Schule gelernt. Während für einen Deutschschweizer der Zugang zur Romandie selbstverständlich ist, kann dieser für einen Deutschen als Kosten-, wenn nicht sogar als Störfaktor gelten.

Wie kann man die letzten Entscheide des Swissmetal-Chefs anders interpretieren? Er futiert sich, wie er selber sagt, um die Meinung seiner (französischsprechenden) Mitarbeitenden und Kunden. Er lässt das Werk Boillat sterben und eine ganze Region um ihr Knowhow und um die Zukunft zittern. Boillat ist eine rentable Herstellerin von Nischenprodukten. Diese kommen dem ganzen Wirtschaftsnetz des Berner Juras zu Gute. Sie sind auf das spezifische Knowhow zugeschnitten, das in dieser Region vorhanden ist.

Während Martin Hellweg 21 französischsprechende Kaderleute des Swissmetal-Werks Boillat entlässt, kauft er die deutsche Firma Busch-Jaeger, die ähnliche, aber nicht die gleichen Produkte wie das Werk Boillat herstellt (also nicht diejenigen, die der Berner Jura braucht). Er holt zudem den deutschen Direktor dieser Firma in die Generaldirektion von Swissmetal. Das Unternehmen avanciert damit zu einem rein deutschsprachigen Konzern. Eine Deutschschweizer Firma schliesst schrittweise eine welsche Niederlassung und kauft dafür einen deutschen Konkurrenten. Der Zusammenhalt der Schweiz steht vor schwierigen Zeiten. Was passiert, wenn weitere Boillats zu Gunsten von deutschen Konkurrenten geschlossen werden? Was passiert, wenn die grossen Schweizer Konzerne ihre Niederlassungen in der Deutschschweiz konzentrieren? Dann wird die Arbeitslosigkeit in der Westschweiz weiter steigen, und die Spannungen zwischen den beiden Sprachgruppen werden zunehmen.

Katastrophenszenario? Vor Swissmetal hatte eine andere, viel wichtigere Schweizer Firma entschieden, ihre «Niederlassung» in der Westschweiz, den Flughafen Genf, de facto zu schliessen. Wie diese Geschichte endete, wissen wir bereits…

Olivier Kubli unterrichtet das Fach Management an der Hochschule für Architektur, Bau und Holz HSB in Biel. Zuvor war der Romand Generalsekretär der Wirtschaftskammer Biel-Seeland.


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