Karl, der rote Rächer

Source Work Online
Date : vendredi 2 juin 2006
Auteur : Oliver Fahrni
Copyright : Unia - Work
Ein Karl geht um im Jura und lässt die Manager zittern. Karl erfährt alles. Karl ist immer da. Karl schlägt sofort zu. Wenn sich etwas tut in der Chefetage von Swissmetal oder in den Fabriken, stellt es Karl sogleich aufs Internet – ein Cyber-Pirat. Was immer Swissmetal-Chef Martin Hellweg plant, um die Metallfabrik Boillat zu demontieren – sofort wird es auf Karls Blog www.laboillat.blogspot.com analysiert, mit Hintergrundinformationen angereichert, eingeordnet. Mauscheln die Herren des Geldes mit Swissmetal-Aktien – schon trägt ein kleines Heer von Informanten Karl die vertrauliche Kunde zu. Und wehrt sich die Belegschaft mit Demonstrationen oder Streik, immer ist Karl zur Stelle, auf Seite der «Boillats». Er organisiert die Solidarität.

HARTE DINGE LEICHT GESAGT An den ersten Streiktagen, Ende Januar, wurden Blätter mit den Ausdrucken von Karls Blog in der Fabrik begierig herumgereicht. «Heftig, der kennt sich aus», sagte einer. Andere amüsierten sich. Der Kampf der «Boillats» geht um ihre Existenz, aber Karl hat Wortwitz und die Gabe, die harten Dinge leicht zu sagen. Die Gegner macht er zu Figuren. Martin Hellweg ist «Martinou». «Wer Karl bloss ist?» frage einer. «Einer von uns», spekulierten die Metaller. «Nein, ein Industrieller, das kann nur einer aus der Branche sein.» – «Ein Professor?» – «Oder doch Nicolas Hayek?» Riesengelächter. Seither ist der Blog, der täglich gefüttert wird, zur mächtigen Stimme der «Boillats » geworden, zu ihrer Kampfmaschine. Alle Journalisten bedienen sich bei Karl. Aber sein Blog ist auch eine Gemeinschaft. Hunderte von Seiten, 1300 Mails, mehrere Tausend Diskussionsbeiträge, weit über 100000 Besucher bezeugen, dass der Arbeitskampf der Boillat-Metaller auch auf dem Internet geführt wird. «Es ging auch darum, die Einsamkeit der ‹Boillats› zu brechen. Ihre Lage ist unerträglich hart.» Karl arbeitet Tag und Nacht. Sein Studium und seine Geldjobs müssen warten. Tagsüber recherchiert er Informationen, checkt, beantwortet Mails («jedes Mail!»), moderiert die Debatten, nachts schreibt er. Die Mail, mit dem er unsere Bitte um ein Interview beantwortete, war mit 4 Uhr 27 datiert. Karl spielt alle Möglichkeiten eines Cyber-Kampfes aus, Web, Blog, Mail, Chatroom. Das ist schnell und demokratisch. Auf Papier wäre das nicht möglich gewesen. Es gibt viele Blogs. Die meisten sind Schrott. Der Boillat-Blog zeigt, was aus einem solchen Instrument werden kann. Dieser Tage tobt gerade die Debatte über die richtige Strategie gegen Hellweg und seine Finanzer. Dutzende von Einträgen. Harsche Worte. Gescheite Gedanken. Und was Hellweg zur Weissglut treiben muss: Jetzt wurde Karls Blog auch noch vergoldet. Am 5. Mai bekam «Eine Stimme für die Boillat» bei den Swiss Blog Awards die Goldene Maus. Pikant: Die Jury präsidierte Wolfgang Frei von der «NZZ». Karl ist eine erstaunliche Figur. Er lebt für und mit der Boillat. «Ich bin ein Sohn des Südjuras», sagt er. Die Fabrik kennt er von innen. 28 Jahre alt, blitzgescheit, bodenständig, militant – und ganz seine Generation. In den virtuellen Welten von Computerspielen ist er ziemlich herumgekommen. Auf Anonymität beharrt er. Nicht etwa, weil er Repressalien fürchtet. «Ich brauche keine Werbung für mich. Hier geht es um die ‹Boillats›. Mich beeindrucken ihre politische Reife und ihr Kampf. Die Leute sollen sich erkennen, nicht mich. Ich habe aus einem Teil meiner Persönlichkeit eine Art Comic-Figur gemacht.»

HELLWEG WÄRE GERNE KARL Manches, was er schreibt, würde er persönlich radikaler denken. «Die Figur Karl ist einer gewissen Ausgewogenheit verpflichtet. Er muss alle Argumente nennen. Sich zum Beispiel auf die wirtschaftlichen Regeln einlassen. Zur Debatte steht die Zukunft der Boillat. Und der Platz des Unternehmens in der Gesellschaft.» Das ist sein politisches Engagement. Er betreibt es bis an die Grenze der Erschöpfung. Seine Figur will er aber nicht mit anderen Autoren teilen. Er braucht die Kontrolle. Das Pseudonym Karl hat er auch darum gewählt, weil er antideutsche Ausfälle gegen Hellweg eindämmen will. Es war schon sein Pseudonym bei einem Video- Kriegsspiel, eine ironische Anspielung auf Karl Marx. So kämpft Karl, ein bisschen Kapitän Harlock (sein Lieblings-Comic), ein bisschen Marx, für die Arbeitsplätze und das industrielle Wissen im Jura. «Martinou» Hellweg, ist Karl überzeugt, nimmt ihm die Sache sehr persönlich übel: «Er wäre gerne Karl. Einer, der alles sieht, immer da ist, aber ungreifbar bleibt und mächtig.»


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Actualisé le 19.11.06 par webmaster
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