«Unsinn, Fehler und Inkompetenz»

Mediator Rolf Bloch hatte ihn eingesetzt, um die Swissmetal zu durchleuchten: Jetzt redet Experte Müller Klartext

Source : Work
Date : jeudi 29 juin 2006
Auteur : Oliver Fahrni
Copyright : Work (Unia)
work: Swissmetal hat die Mediation mit Belegschaft und Gewerkschaften über die Zukunft der Boillat abgebrochen. Will CEO Martin Hellweg einen weiteren Streik provozieren, damit er Reconvilier schliessen kann?

Jürg Müller: Das sehe ich nicht. Swissmetal braucht die Boillat – normalerweise bringt sie die guten Ergebnisse im Konzern. Hellweg sagt, er setze jetzt die von Mediator Rolf Bloch und mir vorgeschlagene Strategie um.

Wie sieht die aus?
Ich habe empfohlen, möglichst viele der entlassenen 111 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wieder einzustellen, auch die meisten Kader zurückzuholen, wieder genügend Rohmaterial nach Reconvilier zu bringen, die Produktion hochzufahren und einen lokalen Werksleiter zu ernennen.

Wie soll sich die Belegschaft darauf verlassen? Swissmetal droht, lügt, entlässt, bricht seit zwei Jahren alle Versprechen.
Das Vertrauen ist verloren gegangen. Darum hat Rolf Bloch die Begleitgruppe aus Vertretern der Sozialpartner ins Spiel gebracht. Sie soll darüber wachen, dass die beschlossene Strategie auch umgesetzt wird.

Macht es Sie nicht misstrauisch, dass heute Hellweg sagt, Ihre Strategie sei schon immer seine gewesen und er werde diese alte Strategie um jeden Preis durchziehen?
Was wir jetzt erreicht haben, ist nicht identisch mit dem Plan Hellwegs. Auch darum die Begleitgruppe.

Was hindert Hellweg daran, auch die Begleitgruppe zu ignorieren, so wie er heute die Verhandlungen abbricht?
Juristisch kann man ihn daran nicht hindern. Aber das würde doch einiges negatives Aufsehen erregen. Aber eine grundlegende Tatsache musste ich auch den «Boillats» erklären: In der Schweiz entscheiden die Belegschaften nicht über die industrielle Strategie mit. Das ist allein Sache des Verwaltungsrates respektive der Geschäftsleitung.

Das ist ja gerade der Punkt: Hätten die «Boillats» mitzureden gehabt, wäre dies alles nicht geschehen. Sie wissen besser, was zu tun wäre.
Immer, wenn ich eine Sanierung mache, rede ich ausführlich mit den Beschäftigten. Sie haben das Wissen. Aber die deutsche Erfahrung zeigt mir auch, dass die paritätische Lösung in den Aufsichtsräten kein guter Weg ist. Er führt dazu, dass alle wichtigen Geschäfte ausserhalb der Räte verhandelt werden. Gut wäre, ein Instrument zu finden, um sicherzustellen, dass das Knowhow und die Ideen der Belegschaften in die Entscheide einfliessen. Wenn die Gewerkschaft Unia ein solches Instrument erfindet, bin ich dabei.

So wäre der ganze Kampf verhindert worden?
Vielleicht. Es ist industriell sinnvoll, in der kleinen Swissmetal-Gruppe nur eine Giesserei zu haben. Wo die stehen soll, das war nicht mein Thema. Logisch ist, sie dort zu haben, wo die neue Presse steht. Das hätte auch in Reconvilier sein können. Aber wie gesagt: Die Strategie selbst sollte ich nicht prüfen. Allein ihre Umsetzung.

Was haben Sie gefunden?
Es war ökonomisch völlig absurd, 111 Leute zu entlassen, als die Bestellungsbücher auf viele Monate hinaus randvoll waren. Es war falsch, die Kader zu entlassen, denn sie stellten die Produktion, die Qualitätssicherung, den Kundenkontakt sicher. Der Transfer der Giesserei ist Unsinn. Es wird eine neue geben. Und die Kommunikation – mir ist so etwas noch nie begegnet.

Hellweg spricht von Bummelstreik.
Ach was. Es fehlt eindeutig ein Drittel der Kapazität, es gab zu wenig Rohmaterial, diverse Öfen wurden nicht hochgefahren.

Und die Kunden kommen in Not. Dabei geht es um Hunderte von Arbeitsplätzen.
Um die Kunden hat sich keine der beiden Seiten gekümmert. Jeden Tag werden sie weniger.

Belegt nicht eine Massenentlassung bei vollen Bestellbüchern, dass Hellweg die Demontage der Boillat betreibt?
Sie stellen die Frage, ob es einen heimlichen Plan gebe. Ich habe das in einem zweiten Bericht untersucht und konnte keine Belege dafür finden.

Was ist es dann?
Unangenehm, das zu sagen, aber ich denke, der Grund war Inkompetenz.

Ist die Boillat-Produktion Hellweg nicht egal, weil er ohnehin den Plan verfolgt, ein paar Firmen zu kaufen und die Swissmetal-Gruppe dann teuer zu verkaufen? Eine rebellische Belegschaft stört da nur.
Sie können das für eine Möglichkeit halten. Ich habe dafür keine Beweise gefunden.

Immerhin würde es erklären, dass er am Freitag eine Kapitalerhöhung beschliesst und zugleich ein schnelles Ende in Reconvilier will.
Die Zeit ist für alle eng geworden. Die Belegschaft sollte das verstehen. Hellweg wird die Boillat allein nicht verkaufen, egal was die früheren Führungsleute erzählen. Und jede Woche, die ohne Einigung vergeht, zerstört 20 potentielle Arbeitsplätze. Ich habe mit vielen Mitarbeitern gesprochen. Die Mehrheit fordert den Kopf von Hellweg. Aber eine Mehrheit will auch arbeiten. Diese Menschen brauchen den Lohn. Die einzige Chance ist unsere Strategie. Wenn die «Boillats» neue Kampfmassnahmen ergreifen, ist ihre Fabrik tot.

Aber ist den «Boillats» zuzumuten, sich Hellweg auszuliefern? Sie haben immerhin ein paar gute Gründe, von ihm die industrielle Demontage zu erwarten.
Welche andere Möglichkeit gibt es? Diese Geschichte hinterlässt einen sehr bitteren Nachgeschmack.


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Actualisé le 19.11.06 par webmaster
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